Gedanken zum Buch Traum(a) Migration

Wenn Menschen ihre Heimat verlassen (müssen), bleibt immer etwas von ihnen zurück – es ist immer ein Verlusterlebnis. Egal, ob Menschen, Verwandte oder Freunde, vertraute Orte, Gerüche, Speisen, Klänge, sämtliche zwischenmenschliche und sinnliche Erfahrungen, die bisher als Referenzpunkte Halt im Leben gegeben und das Individuum als soziales Wesen in einer Gemeinschaft verankert haben, verschwinden, verblassen, verändern sich.

Diese vielen kleinen Verlusterlebnisse und –ereignisse hallen lange nach. Im Zuge einer Migrationserfahrung kommen sie durchaus erst nach und nach, im Laufe von Monaten, manchmal Jahren im Gefühls(er)leben eines Menschen zum Ausdruck. Anfänglich ist es oft schlicht der Überlebenswille, der einen Menschen daran hindert, die Tragweite der Verluste an sich heran zu lassen. Danach ist es die Notwendigkeit, die neuen Lagen in der Ankunftsgesellschaft zu verstehen, für sich selber nachvollziehbar zu machen und ebenfalls erneut das Überleben zu sichern.

Erst wenn das Überleben gesichert ist, wenn ein sicherer Aufenthalt erreicht ist, wenn die erste eigene Wohnung bezogen ist, ein Job in Aussicht steht, vielleicht wenn die Familie nachziehen kann und andere wichtige Gewinnerlebnisse und –ereignisse dem Leben eines Geflüchteten einen neuen Schub geben könnten; erst dann ist es häufig so, dass Trauma, Trauer und Trennungsschmerz mit ihrer ganzen Macht in das gerade neu beginnende Zweitleben hineinbrechen.

Diese Verzögerung des Erlebens, diese Ungleichzeitigkeiten zwischen Ereignis und seelischer Reaktion sind in das Konzept der Posttraumatischen Belastungsstörung eingegangen. Gerade die Menge und die Vielfalt der Lebensselbstverständlichkeiten, die ein geflüchteter Mensch hinter sich lassen musste, sind für Menschen, die nie eine solche Erfahrung machen mussten, sehr schwer nachvollziehbar. Deswegen ist es enorm wichtig, als ehrenamtlich Helfende immer auch mit diesen biographischen Ungleichzeitigkeiten zu rechnen.

Für Geflüchtete besteht immer die Gefahr, dass sich ein seelisches Loch auftut, das den Schmerz freisetzt – und den riesigen Verlust offenbart, der damit einhergeht, nicht mehr über die oben beschriebenen Referenzpunkte zu verfügen. Wer es als erwachsener Mensch im Laufe eines Lebens geschafft hat, eher inneren Halt zu suchen und zu finden, ist eventuell weniger stark auf das Außen angewiesen, um mit den eigenen seelischen Notlagen umzugehen. Doch gerade Menschen aus eher kollektiv-gemeinschaftlich organisierten, stark verwandschafts-orientierten Gesellschaften, tun sich schwer damit, sich ein unvertrautes Außen „einzuverleiben“, die Referenzpunkte zu verändern, anzupassen, neu zu besetzen.

Und bei all dem habe ich noch nichts über konkrete traumatische Ereignisse wie Krieg, Bombenterror, Folter, den Tod von nahen Verwandten und deren Auswirkungen geschrieben. Die setzen dem posttraumatischen Erleben und dem emotionalen Befinden der Betroffenen auf ganz eigene Weise zu. Und auch darum geht es im Buch: Traum(a) Migration.

 

Lokale Hilfe rund um den Binnenhafen Harburg

In Harburg rund um den Binnenhafen gibt es ein paar hilfreiche Anlaufstellen, um geflüchteten Menschen in medizinisch-psychosozialen Notlagen zu helfen bzw. sie weiter zu vermitteln.

Zum einen ist da die Allgemeinarztpraxis von Ali Osman und Sevgi Öncü in der Eißendorfer Straße 70. Die Praxis bietet sowohl hausärztliche als kardiologisch-internistische Versorgung an. Auf der Webseite www.praxis-oencue.de gibt es weitere Informationen zu den Leistungen und zum Team.

Als Ort des Aufenthalts, des Austausches und der Vernetzung bietet sich das Café Refugio an, das von der Trinitatis-Gemeinde betrieben wird. Es liegt in der Bremer Straße 9 und ist Montag bis Samstag jeweils von 15 – 20 Uhr geöffnet. Das Café wurde von ehrenamtlich Helfenden der Gemeinde gegründet, als klar wurde, dass in der Harburger Poststraße die zentrale Erstaufnahmeeinrichtung eröffnet wird. Mehr Informationen finden sich auf der Webseite des Cafés. Informationen gibt es auch in arabischer Sprache.

Ein wichtiger Baustein in psychosozialer Hinsicht ist ABeSa, ein Träger für die „ambulante Betreuung, Beratung und Assistenz in der Sozialarbeit“. Der Standort Harburg ist in der Bremer Straße 14, in der Nähe vom Café Refugio. ABeSa leistet Eingliederungshilfe nach SGB XII für Menschen mit psychischen, geistigen, körperlichen bzw. mehrfachen Einschränkungen. Der Träger bietet aber auch Leistungen der Jugend- und Familienhilfe. Das ist vor allem für ankommende Familien interessant, die sich hier Unterstützung von Profis holen können. Auf der Webseite des Trägers gibt es weitere Informationen. Auch hier hat der Anbieter bereits daran gedacht, sich sprachlich auf die neue, große Gruppe der Ankommenden vorzubereiten und Webseiten in arabischer Sprache online gestellt.

Das können wir als somenti.org-Gruppe leider noch nicht bieten. Dennoch gehört unser Angebot zum psychosozialen Hilfssystem rund um das Wohnschiff Transit im Binnenhafen. Die Gruppe trifft sich einmal im Monat im Büro der Flüchtlingshilfe:

Harburger Schloßstraße 14, 21079 Hamburg; 040 300 853 91, Öffnungszeiten: Mo-Do: 10-12 Uhr, Do: 15-17 Uhr

Alle ehrenamtlich Helfenden haben über das Büro der Flüchtlingshilfe die Gelegenheit, bei Fragen zur Versorgung von Flüchtlingen mit einem der Gruppenmitglieder verbunden zu werden – bspw. wenn es darum geht, welche psychotherapeutischen Möglichkeiten vorhanden sind, ob es zu einer stationären Aufnahme kommen könnte, wer ein Gutachten zu Traumatafolgestörungen erstellen kann, welche Möglichkeiten der medizinischen Rehabilitation bestehen.

Weitere Hinweise auf lokale Angebote werden folgen. Das somenti.org-Team ist dankbar, wenn wir wiederum auf Möglichkeiten der Hilfe aufmerksam gemacht werden. Einfach eine elektronische Nachricht an mail (at) somenti.org senden.

Psychische Erkrankungen bei Schutzsuchenden nur simuliert?

Das Bundesregierung hat beschlossen, die asylgesetzlichen Rechtsgrundlagen weiter zu verändern und das Grundrecht auf Asyl weiter auszuhöhlen: Asylverfahren für Bewerber mit geringer Aussicht auf Anerkennung sollen beschleunigt werden, Familiennachzug soll ausgesetzt werden, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten soll erweitert werden – und zu schlechter Letzt: Die posttraumatische Belastungsstörung soll kein Abschiebehindernis nicht mehr sein.

Damit geben die Regierung und die sie tragenden Parteien denjenigen nach, die seit Wochen die Stimmung im Land zuungunsten der bisherigen Willkommenskultur verändern wollen. Damit erklären die Regierungsparteien, dass ihnen auch nichts mehr einfällt als sichere Herkunftsländer zu erfinden (Marokko, Tunesien, Algerien) und Verfahren auf eine Weise zu beschleunigen, die den Schutzsuchenden nur noch minimale Fristen lässt, Rechtsmittel gegen Entscheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge einzulegen.

Verschlimmert wird der Gesetzentwurf durch die schamlose Diffamierung von traumatisierten Flüchtlingen, denen unterstellt wird, sie würden eine psychische Erkrankung, speziell eine Posttraumatische Belastungsstörung nur simulieren, um ein ärztliches Attest zu erschleichen, das dann eine Abschiebung ausschließt. Die Behörden würden durch die Geltendmachung von medizinischen Abschiebungshindernissen in quantitativer und qualitativer Hinsicht vor große Herausforderungen gestellt, heißt es in der Begründung des Gesetzesentwurfes. Eine Bankrotterklärung.

Die Bundespsychotherapeutenkammer schreibt in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf, die Bundesregierung treffe…

„…Regelungen, die das Ziel haben, aufenthaltsrechtliche Verfahren, die aufgrund medizinischer Begutachtungsverfahren nicht innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen werden können, zu vermeiden. Die Abschiebung von kranken Menschen wird ausweislich der Gesetzesbegründung nicht etwa deshalb erleichtert, weil es dafür fachliche und empirisch belastbare Gründe gibt, sondern weil die deutschen Behörden quantitativ und qualitativ damit überfordert sind.“

Die Kombination aus Verfahrensbeschleunigung und Nicht-Anerkennung von psychischen Erkrankungen als Abschiebehindernis ist ein Versuch, Menschen, die Schutz suchen, quasi die Tür vor der Nase zuzuschlagen, weil es unmöglich gemacht wird, in angemessener Zeit eine qualifizierte Begutachtung zu erhalten, die eine besondere Schutzwürdigkeit eines Asylbewerbers belegt.

Dieses Asylpaket 2 getaufte Gesetzesvorhaben ruft großen Protest beim Anwaltverein, Pro Asyl und – neben anderen – der grünen Oppositionspartei hervor, doch es zeigt, wie verzweifelt die Regierung bemüht ist, die Krise mit untauglichen Mitteln und vor allem auf Kosten der Schutzsuchenden zu lösen.