REFUGIUM – Geflüchtete werden Gesundheitsmultiplikatoren

Die Hochschule für Angewandte Wissenschaft (HAW), Campus Bergedorf, hat ein Programm entwickelt, das helfen soll, die Gesundheit geflüchteter Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften zu erhalten oder zu verbessern.

Beengte, hygienisch prekäre Verhältnisse, mangelnde Privatsphäre, überfüllte Räumlichkeiten, wenig Kontrolle über die eigene Existenz – zumal in einem fremden Land mit unbekannten Regeln und Regularien – wirken sich auf den Gesundheitszustand aus. Sowohl körperliche als auch psychische Symptome sind die Folge: Kleinere und größere Infekte, Schmerzen aller Art, Magen-Darm-Verstimmungen, aber auch Schlafmangel, Unruhe, Konzentrationsprobleme, Appetitlosigkeit, Antriebslosigkeit gehören zu den häufig präsentierten Symptomatiken in den Sprechstunden der Erstaufnahmen.

Dem setzt die HAW ein Programm entgegen, mit dessen Hilfe Gesundheitsmultiplikatoren ausgebildet werden: REFUGIUM – „Rat und Erfahrung: Flucht und Gesundheit – Information und Migration“. Das Programm sieht vor, Menschen, die in den Erstaufnahmen und Folgeunterkünften leben, einfaches Wissen über Hygiene, Ernährung, Bewegung, medizinische Versorgung und psychische Gesundheit zu vermitteln. Sie sollen in die Lage versetzt werden, dieses Wissen anschließend an Menschen aus dem eigenen (Sprach-)Kulturkreis weiterzugeben.

Der Kurs, um das Basiswissen zu vermitteln, beginnt am kommenden Montag am Competence Center Gesundheit der HAW, Campus Bergedorf, Ulmenliet 20, und besteht aus fünf Ausbildungstagen: 2.5., 9.5., 23.5., 30.5., 6.6. Der Kurs wird in acht Sprachen angeboten:

Kontakt und Anmeldung:
HAW Hamburg
Fakultät Life Sciences
Prof. Dr. Christine Färber (Professorin für empirische Sozialforschung)
Dr. Omar Aboelyazeid
Tel. (040) 42875-6115
christine.faerber@haw-hamburg.de

Gedanken zum Buch Traum(a) Migration

Wenn Menschen ihre Heimat verlassen (müssen), bleibt immer etwas von ihnen zurück – es ist immer ein Verlusterlebnis. Egal, ob Menschen, Verwandte oder Freunde, vertraute Orte, Gerüche, Speisen, Klänge, sämtliche zwischenmenschliche und sinnliche Erfahrungen, die bisher als Referenzpunkte Halt im Leben gegeben und das Individuum als soziales Wesen in einer Gemeinschaft verankert haben, verschwinden, verblassen, verändern sich.

Diese vielen kleinen Verlusterlebnisse und –ereignisse hallen lange nach. Im Zuge einer Migrationserfahrung kommen sie durchaus erst nach und nach, im Laufe von Monaten, manchmal Jahren im Gefühls(er)leben eines Menschen zum Ausdruck. Anfänglich ist es oft schlicht der Überlebenswille, der einen Menschen daran hindert, die Tragweite der Verluste an sich heran zu lassen. Danach ist es die Notwendigkeit, die neuen Lagen in der Ankunftsgesellschaft zu verstehen, für sich selber nachvollziehbar zu machen und ebenfalls erneut das Überleben zu sichern.

Erst wenn das Überleben gesichert ist, wenn ein sicherer Aufenthalt erreicht ist, wenn die erste eigene Wohnung bezogen ist, ein Job in Aussicht steht, vielleicht wenn die Familie nachziehen kann und andere wichtige Gewinnerlebnisse und –ereignisse dem Leben eines Geflüchteten einen neuen Schub geben könnten; erst dann ist es häufig so, dass Trauma, Trauer und Trennungsschmerz mit ihrer ganzen Macht in das gerade neu beginnende Zweitleben hineinbrechen.

Diese Verzögerung des Erlebens, diese Ungleichzeitigkeiten zwischen Ereignis und seelischer Reaktion sind in das Konzept der Posttraumatischen Belastungsstörung eingegangen. Gerade die Menge und die Vielfalt der Lebensselbstverständlichkeiten, die ein geflüchteter Mensch hinter sich lassen musste, sind für Menschen, die nie eine solche Erfahrung machen mussten, sehr schwer nachvollziehbar. Deswegen ist es enorm wichtig, als ehrenamtlich Helfende immer auch mit diesen biographischen Ungleichzeitigkeiten zu rechnen.

Für Geflüchtete besteht immer die Gefahr, dass sich ein seelisches Loch auftut, das den Schmerz freisetzt – und den riesigen Verlust offenbart, der damit einhergeht, nicht mehr über die oben beschriebenen Referenzpunkte zu verfügen. Wer es als erwachsener Mensch im Laufe eines Lebens geschafft hat, eher inneren Halt zu suchen und zu finden, ist eventuell weniger stark auf das Außen angewiesen, um mit den eigenen seelischen Notlagen umzugehen. Doch gerade Menschen aus eher kollektiv-gemeinschaftlich organisierten, stark verwandschafts-orientierten Gesellschaften, tun sich schwer damit, sich ein unvertrautes Außen „einzuverleiben“, die Referenzpunkte zu verändern, anzupassen, neu zu besetzen.

Und bei all dem habe ich noch nichts über konkrete traumatische Ereignisse wie Krieg, Bombenterror, Folter, den Tod von nahen Verwandten und deren Auswirkungen geschrieben. Die setzen dem posttraumatischen Erleben und dem emotionalen Befinden der Betroffenen auf ganz eigene Weise zu. Und auch darum geht es im Buch: Traum(a) Migration.